Ein Urteil des europäischen Gerichtshofes verändert die Versicherungswelt. Ab dem 21. Dezember 2012 dürfen Versicherer nur noch geschlechtsneutrale Tarife anbieten, der „kleine Unterschied“ ist damit bei der Beitragsberechnung passé. Aber was bedeutet der Wechsel zu sogenannten „Unisex-Tarifen“ für die Kunden? Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten!
Warum werden zukünftig nur noch Unisex-Tarife angeboten?
Bisher war das Geschlecht ein wichtiger Faktor für die Beitragsberechnung bei Versicherungen. Frauen fahren sicherer Auto als Männer und bauen weniger Unfälle, weshalb sie auch in der Kfz-Versicherung weniger zahlen mussten. Da die Damen der Schöpfung aber im Schnitt eine höhere Lebenserwartung haben -nicht umsonst spricht man von Frauen als dem eigentlichen „starken“ Geschlecht– mussten sie für eine private Kranken-, Lebens- oder Pflegeversicherung deutlich mehr bezahlen. Denn die höhere Lebenserwartung drückt sich auch in höheren Kosten für Frauen aus.
Die Europäische Union sieht in der Gleichstellung von Mann und Frau ein grundlegendes Prinzip ihrer Politik. Jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist nach den Artikeln 21 und 23 der Grundrechte-Charta verboten. Das bedeutet auch: Gleiche Versicherungsbeiträge für beide Geschlechter! Bereits im Jahr 2007 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) darauf bestanden, dass Versicherungen Unisex-Tarife anbieten müssen. Die damals noch üblichen Unterschiede wurden als „Ausnahmen“ gewertet, denen nur eine begrenzte „Übergangszeit“ zugestanden wurde.
Doch gegen diese Ausnahmeregelung klagte ein belgischer Verbraucherschutzverein und zwei männliche Privatleute. Zum 01. März 2011 entschied der Europäische Gerichtshof endgültig: Eine geschlechtsspezifische Tarifgestaltung ist diskriminierend und verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Spätestens ab dem 21. Dezember 2012 soll es in der Versicherungsbranche nur noch geschlechtsunabhängige Tarife geben (Rechtssache C-236/09, Urteil vom 01.03.2011).
Für welche Versicherungssparten gilt das Unisex-Urteil?
Geschlechtsneutrale Tarife müssen zukünftig für alle Versicherungsformen angeboten werden, ganz gleich ob Lebens-, Kranken-, Renten- oder Sachversicherung. Ausnahmen gibt es keine. Allerdings gilt dies nur für Neuverträge. Alle Policen, die vor dem 21.12. 2012 abgeschlossen werden, bleiben von dem Zwang der Umstellung ausgenommen und können weiterhin für Männer und Frauen unterschiedlich berechnet werden.
Weil Altverträge nicht angetastet werden, verweisen die Versicherungsunternehmen darauf, dass es sinnvoll sein kann noch vor dem 21. Dezember einen Vertrag nach altem Recht abzuschließen. Denn nach der Umstellung verteuern sich vor allem für Männer viele Versicherungen. Bis zu 40 Prozent muss Mann zum Beispiel beim Abschluss einer neuen Pflegeversicherung mehr zahlen, wenn der kleine Unterschied wegfällt.
Wie reagieren die Versicherungen auf das Urteil?
Die Versicherungsunternehmen verhalten sich abwartend, zumal die rechtlichen und kalkulatorischen Rahmenbedingungen noch nicht endgültig geklärt sind. Eine derart gewaltige Umstellung hat es in der Branche nie gegeben. Folglich sind auch die Anbieter verunsichert. Nur wenige Versicherungen haben bereits ihre Unisex-Tarife vorgestellt.
Nachteile sollen den Versicherungsnehmern aber keine entstehen. Viele Versicherungen versprechen ihren Kunden, dass die alten Verträge ohne Mehrkosten oder neue Gesundheitsprüfung umgetauscht werden können. Es gibt Umtausch-Joker, Unisex-Optionsrechte, Unisex-Garantie-Zertifikate und andere Zusagen, mit denen die Versicherungsgesellschaften aktuell werben.
Damit garantieren die Unternehmen ihren Kunden: Wer jetzt schon einen Vertrag kauft, der noch nach Frauen- oder Männertarif berechnet wird, erhält das Recht, ihn problemlos in einen Unisextarif umzuwandeln, wenn dieser billiger und leistungsstärker ist. So sollen viele Verbraucher zu einem Abschluss noch vor dem Stichtag bewogen werden.
Welche Versicherungen werden dank Unisex für Frauen billiger?
Die Profiteure der neuen Unisex-Regelung könnten mehrheitlich Frauen sein. Sie waren bisher bei solchen Versicherungssparten schlechter gestellt, die sehr teuer sind. In der privaten Rentenversicherung zahlten Frauen mehr, da sie eine höhere Lebenserwartung haben als Männer und deshalb auch länger Rente beziehen. Laut Expertenschätzungen werden vom kommenden Jahr an die Beiträge für Frauen in der Rentenversicherung um circa 4 Prozent sinken.
Dennoch sollten Frauen nicht vorschnell ihren alten Rentenvertrag kündigen, um eine Unisex-Police abzuschließen. Zum einen kostet ein neuer Versicherungsvertrag Abschluss- und Verwaltungskosten, die für den alten Schutz schon gezahlt wurden. Zum anderen liegen die Garantiezinsen für Neuverträge derzeit bei relativ niedrigen 1,75 Prozent. Versicherungsnehmerinnen, die einen Altvertrag mit 4 Prozent Garantiezins in der Tasche haben, könnten damit sogar besser dastehen als mit einem Unisex-Tarif!
Auch bei der Privaten Krankenversicherung, der Pflege- und Berufsunfähigkeitsversicherung sind Frauen voraussichtlich die Gewinner der Unisex-Umstellung. Laut vorläufigen Berechnungen sinken die Beiträge für den BU-Schutz um bis zu 9 Prozent. Für eine Pflegepolice zahlen Frauen zukünftig bis zu 24 Prozent weniger. Aber ebenso in diesen Sparten sollten Altverträge nicht voreilig gekündigt werden. Denn Leistung und Kosten eines Vertrages sind auch abhängig vom Alter und den Vorerkrankungen einer Person. Verträge, die bereits lange Jahre bedient werden, können folglich sogar günstiger sein!
Wo wird es für Männer dank Unisex billiger?
Für Männer könnte sich vor allem die Risikolebensversicherung verbilligen. Aktuell zahlen sie noch 40 bis 100 Euro mehr Jahresbeitrag als gleichaltrige Frauen. Bis zu 80 Euro können nach der Unisex-Umstellung pro Jahr eingespart werden, hat das Analysehaus Morgen und Morgen errechnet. Allerdings wollen die Versicherer zukünftig beim Gesundheitszustand genauer hinsehen, wie die FAZ berichtet. Wer Übergewicht und Vorerkrankungen hat, muss dann höhere Aufschläge zahlen.
Ob die Kraftfahrzeugversicherung für Männer ebenfalls billiger wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt kaum abzusehen. Versicherungsexperten erwarten, dass die Versicherer ihre Preise insgesamt anheben werden und von weiteren Faktoren abhängig machen, etwa der Größe des Autos, dem Alter des Fahrers sowie dem Vorhandensein einer Garage.